Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats – trotz Corona

Arbeitsgericht Wesel zur Videoüberwachung

Ein Logistik- und Versandunternehmen hat Anhand von Bildaufnahmen der Arbeitnehmer, die mittels einer Videokamera erstellt wurden, die Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsabstände von mindestens zwei Metern im Rahmen der Corona-Pandemie kontrolliert. Dabei wurden die Bilder an einen Server im Ausland gesendet und anonymisiert (verpixelt).

Entscheidung

Der zuständige Betriebsrat ging im einstweiligen Verfügungsverfahren aufgrund der Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte dagegen vor und hat die Arbeitgeberin auf Unterlassung in Anspruch genommen. Der Betriebsrat war teilweise mit seinen Anträgen vor dem Arbeitsgericht Wesel (Beschluss vom 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20) erfolgreich. 

Gründe

Das Vorgehen der Arbeitgeberin verstieß gegen eine bestehende Betriebsvereinbarung nach der die Aufnahmen nicht Dritten zugänglich gemacht werden durften, sondern ausschließlich auf lokalen Netzwerkrekordern zu speichern sind. Der im Ausland befindliche Datenserver gehörte zwar einem Konzernunternehmen der Arbeitgeberin, dieses ist aber ebenfalls Dritter im Sinne der Betriebsvereinbarung. Es handele sich auch nicht um eine mitbestimmungsfreie Maßnahme, da die Daten nach Erkenntnis des Arbeitsgerichts erst nach der Übermittlung an den externen Server anonymisiert würden. 

Außerdem sind laut dem Arbeitsgericht die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verletzt. Danach hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, die der Arbeitgeber aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben. Dabei ist die Gefährdungsbeurteilung das maßgebende Instrument, um von der Arbeit ausgehende Gefährdungen zu ermitteln.

Es fehlt zwar im Hinblick auf die Corona-Pandemie eine konkrete Gefährdung, die Auswertung der Standbilder durch die Arbeitgeberin stellt jedoch bereits selbst eine Maßnahme der Gefährdungsbeurteilung dar. Die Auswertung des Bildmaterials dient nach Ansicht des Arbeitsgerichts gerade der Feststellung, ob überhaupt entsprechende Gefahren bestehen. Dies sei Sinn und Zweck der Gefährdungsbeurteilung. Dem Betriebsrat steht deshalb ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu.

Das Arbeitsgericht entschied, dass auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Corona-Pandemie, bei der es sich um eine „außergewöhnliche und in dieser Form wohl präzedenzlose Situation“ handelt, der Arbeitgeber gehalten sei, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu wahren. Lediglich in sogenannten Notfällen, in denen sofort gehandelt werden muss, um vom Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden, sei ein Recht des Arbeitgebers für einseitige Anordnungen denkbar. Wenngleich die Corona-Pandemie mit gravierenden Bedrohungen für die Gesundheit von Betriebsangehörigen und Dritten einhergeht und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Betriebe immens sind, liegt aus Sicht der Kammer kein solcher Notfall vor. Denn ein solcher setzte jedenfalls eine akute Gefahr, die es abzuwenden gilt, voraus. Davon ausgehend mag die Maßnahme zur Abstandsüberwachung der Arbeitgeberin zwar geeignet und erforderlich sein, um die Ausbreitung des Corona-Virus im Betrieb zu vermeiden und damit den Schutz der Arbeitnehmer zu bezwecken. Allein die kontinuierliche Ausbreitung des Virus führt jedoch nicht dazu, dass er bereits als akute Gefahr für den Betrieb und damit als extremer Notfall anzusehen sei.

 

Bewertung

Dieser Beschluss zeigt, dass Betriebsvereinbarungen, in denen die Nutzung von Überwachungstechnik geregelt ist, dem Arbeitgeber Grenzen vorgeben können, an die sich dieser auch in Zeiten einer Pandemie uneingeschränkt zu halten hat. Das Arbeitsgericht erkennt darüber hinaus die Corona-Pandemie als außergewöhnliche Situation, aber nicht als Notfall, mit dem die Beteiligungsrechte des Betriebsrats außer Kraft gesetzt wären. Betriebsräte können sich demnach darauf verlassen, dass sie auch während einer Pandemie ihre Mitbestimmungsrechte behalten.

Patricia Hauto LL.M.
Rechtsanwältin

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