Aufgrund der Corona-Pandemie (COVID-19, SARS-Cov 2) sind wir alle dazu aufgerufen, physische Kontakte und Zusammenkünfte zu vermeiden.
Mitarbeiter sehen sich vermehrt mit der Aufforderung konfrontiert, dass Betriebe nicht mehr betreten werden sollen und es befinden sich immer mehr Menschen in Quarantäne.
Vor diesem Hintergrund stellen sich Betriebsräten die Frage, wie sie z.B. im Homeoffice als Gremium arbeitsfähig und handlungsfähig bleiben können.
Grundsätzlich sind Betriebsratssitzungen und die in ihnen gefassten Beschlüsse laut den §§ 30 ff. BetrVG so durchzuführen, dass die Betriebsräte physisch anwesend sind. Denn Beschlüsse sind gem. § 22 Abs. 1 BetrVG mit der „Mehrheit der anwesenden“ Betriebsratsmitgliedern zu fassen.
Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds liegt eindeutig vor, wenn ein Betriebsratsmitglied krank ist oder sich in Quarantäne befindet.
Aber auch wenn der Arbeitgeber ein Betretungsverbot für Räumlichkeiten ausspricht könnte eine Verhinderung vorliegen. Dies wird jeweils vom Einzelfall abhängen und ist nicht einfach zu beantworten, da es die jetzige Situation noch nie gegeben hat. Liegt Verhinderung vor, muss das jeweilige Ersatzmitglied geladen werden. So lange die Mehrheit der gewählten Mitglieder an der Sitzung teilnehmen können, ist das Gremium beschlussfähig, § 33 Abs. 2 BetrVG.
Kann diese Anzahl jedoch nicht mehr erreicht werden, weil mehr als die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Amtsausübung verhindert sind und auch nicht durch Ersatzmitglieder vertreten werden können, dann ist der Betriebsrat nicht beschlussfähig und damit handlungsunfähig.
Deswegen stellt sich die Frage, ob Betriebsratssitzungen nicht auch im Rahmen einer Videokonferenz o.ä. durchgeführt werden könnten
Für Seebetriebsräte gilt die Besonderheit, dass § 41 a Abs. 2 Europäisches Betriebsrätegesetz (EBRG) die Teilnahme an Sitzungen mittels neuer Informations- und Kommunikationstechnologien erlaubt, wenn sich die Betriebsratsmitglieder nicht im Land befinden und dies in der Geschäftsordnung des Gremiums vorgesehen ist und außerdem sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Aus dieser Regelung ergibt sich im Umkehrschluss, dass alle örtlichen Betriebsräte weiterhin physisch anwesend sein müssen, um wirksam Beschlüsse fassen zu können.
Für einzelne Betriebsratsgremien kann das bedeuten, dass sie nicht beschlussfähig sind und keine Beschlüsse fassen können. Gerade in Krisenzeiten sind Betriebsräte aber besonders gefordert.
Nun hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil am 20.03.2020 über dpa (https://www.krankenkassen.de/dpa/298669.html) mitgeteilt, dass die Arbeitsfähigkeit von Betriebsräten in der Covid-19-Krise sichergestellt werden sollen.
Die Nutzung von Video- oder Telefonkonferenzen sei zwar nicht explizit im Betriebsverfassungsrecht vorgesehen, von einem vom Gesetz vorausgesetzten Normalfall könne aber laut Heil derzeit nicht gesprochen werden. Nach Auffassung des Arbeitsressorts sollen in der aktuellen Lage auch die virtuelle Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz zulässig sein. Dies gelte laut Heil sowohl für Zuschaltung einzelner Betriebsratsmitglieder, als auch für die insgesamt virtuelle Betriebsratssitzung.
Die so gefassten Beschlüsse seien nach Auffassung des Arbeitsressorts wirksam.
Diese Richtung ist zu begrüßen. In Zeiten der Corona-Krise droht, dass einzelne Betriebsratsgremien nicht mehr arbeitsfähig sind.
Die Frage, ob virtuelle Betriebsratssitzungen möglich sind, wird schon länger diskutiert.
Wichtig zu bedenken ist, dass Hubertus Heil mit seiner Aussage nicht die Gesetzeslage verändert. Es ist zu begrüßen, dass auch die Regierung sich mit der Frage beschäftigt, zu einer Rechtssicherheit führt dies jedoch im Ergebnis nicht.
Allerding bedarf es vielleicht in außergewöhnlichen Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen.
Meiner Meinung nach ist es nicht hinnehmbar, dass Betriebsratsgremien – gerade in der Krise – wegen der Krise – nicht mehr arbeitsfähig sind.
Deswegen stellt sich die Frage, ob in Ausnahmefällen – also wenn die Teilnahme an Betriebsratssitzungen zu Gefahren für das Leben oder die Gesundheit führt oder wegen behördlicher Anordnung nicht möglich ist – trotz aller Rechtsunsicherheit doch auf eine virtuelle Sitzung oder die Zuschaltung von Betriebsratsmitgliedern zurückgegriffen werden kann.
Dabei sollten folgende Dinge vorher überprüft werden:
- Sind die Betriebsratsmitglieder wirklich verhindert, können Ersatzmitglieder geladen werden?
- Liegt auch bei Abwesenheit von einzelnen Betriebsratsmitgliedern trotzdem Beschlussfähigkeit vor (bei Anwesenheit von mehr als die Hälfte der gewählten Mitglieder)?
Können tatsächlich nicht mehr genügend Betriebsratsmitglieder für eine Betriebsratssitzung zusammenkommen, dann kann zunächst darüber nachgedacht werden, ob Beschlüsse auch zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen werden können.
Möglich wäre auch, mit dem Arbeitgeber laufende Fristen (z.B. aus den §§ 99 oder 102 BetrVG) einvernehmlich zu verlängern.
Ist auch das nicht möglich, weil die Sache eilt, dann sollte daran gedacht werden:
- die Geschäftsordnung zu ändern und
- sicherzustellen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Weil in einer solchen virtuellen Sitzung eine handschriftlich unterzeichnete Anwesenheitsliste nicht erstellt werden kann, rät Heil dazu, dass die Teilnahme gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden in Textform, also z.B. per E-Mail bestätigt wird.
Außerdem sollte versucht werden, mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung zu treffen, in der sich der Arbeitgeber mit der virtuellen Beschlussfassung einverstanden erklärt und auf eine gerichtliche Überprüfung der formalen Voraussetzungen verzichtet.
In seiner Ministererklärung appelliert Bundesminister Heil an die Arbeitgeber und Betriebsrätinnen und Betriebsräte, dass das Finden von schnellen und pragmatischen Lösungen derzeit die höchste Priorität hat.
In Krisenzeiten ist Kommunikation das wichtigste Gut. Die Betriebsräte sollten sich den Austausch untereinander nicht nehmen lassen. Per Video- oder Telefonkonferenz können Betriebsräte Informationen austauschen und sich beraten. Werden Beschlüsse gefasst, mit denen z.B. auch Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden sollen, dann sollte der Betriebsrat immer versuchen physisch zusammen zu kommen und damit wirksame Beschlüsse sicherzustellen.
Der Betriebsrat muss aber gerade in der Krise handlungsfähig bleiben. Dies ist auch im Sinne des Arbeitgebers, denn in solchen Zeiten ist eine Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern, Betriebsräten und Mitarbeitern existentiell wichtig.
Sinnvoller wäre es dennoch, der Gesetzgeber würde kurzfristig das Betriebsverfassungsgesetz anpassen und Rechtssicherheit schaffen. An anderer Stelle gelingt das auch. Der Entwurf eines „Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ z.B. sieht Änderungen u.a. im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Wohnungseigentumsrecht vor, mit denen z.B. die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, die Vertreterversammlung einer Genossenschaft oder die Mitgliederversammlung eines Vereins zeitweise präsenzlos durchgeführt werden können, um „vorübergehend Erleichterungen für die Durchführung von Versammlungen ohne physische Präsenz oder die Beschlussfassung außerhalb von Versammlungen, auch ohne entsprechende Satzungsregelungen“ zu schaffen.
Patricia Hauto LL.M.
Rechtsanwältin
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